Die Mitte ist out. Wer sich profilieren will, nimmt extreme Positionen ein und gibt sich kompromisslos. Hat er zudem Macht, ist ihm qua Position Durchsetzungskraft gegeben ebenso wie Anziehungskraft. Da weiß einer, wo es in dem Durcheinander langgeht, dem folgen wir. Sich in der Mitte zu halten, bedeutet dagegen, sich nicht entscheiden können, Schwäche zeigen, hasenpfötig sein. Eine Meinung, die überdenkenswert ist: Darauf zu beharren, dass gute Lösungen meist nicht im Entweder-oder, sondern irgendwo dazwischen liegen, heißt mittlerweile gegen den Strom schwimmen und Mut beweisen.
Es gibt keine eindeutigen Wahrheiten und damit keine einfachen Lösungen mehr
Abseits der extremen Ränder nach Kompromisslösungen zu suchen, ist immer dann sinnvoll, wenn auch der andere recht haben könnte. Derjenige, der weiß, dass er recht hat, braucht dagegen keine Kompromisse. Doch wer kann das heute noch von sich sagen – in Zeiten, in denen Probleme und Aufgaben immer komplexer und Rahmenbedingungen immer volatiler werden? Es gibt keine eindeutigen Wahrheiten und damit keine einfachen Lösungen mehr. Was bleibt, ist die Möglichkeit des guten Kompromisses. Voraussetzung dafür ist statt Macht eine Stärke ganz anderer Art: Überzeugungskraft.
Ein guter Kompromiss ist nicht, es allen gleichermaßen recht zu machen, sich sozusagen in der Mitte zu treffen oder den kleinsten gemeinsamen Nenner zu suchen. Dahinter steckt vielmehr die Kunst, unterschiedliche Positionen und Interessen zu respektieren, zusammenzuführen und angemessen zu gewichten, sie also – verdeutlicht am Bild eines Mischpultes aus der Tontechnik – so abzumischen, dass eine harmonische, für alle Beteiligten gangbare Lösung entsteht. Eine solche Kompromisslinie zu finden, erfordert Persönlichkeit, Empathie, Verantwortungsbewusstsein, ist anstrengend und zeitintensiv. Dafür erhält man eine differenzierte, qualitativ hochwertige Lösung, die überdauert und von allen getragen in der Regel schnell und wirkungsvoll umgesetzt werden kann. Bei kompromisslosen, einseitig durchgedrückten Entscheidungen ist es dagegen umgekehrt. Sie sind schnell getroffen, dafür holen einen im Nachhinein die Probleme ein.