Zukunftsfähigkeit

„Menschen können viel erreichen.“

Prof. Dr. Achim Kampker stellt in seinem Buch „Zukunftslust“ den in Deutschland um sich greifenden Dystopien Zukunftsvisionen entgegen, die wie Utopien anmuten, aber keine sind. Sie lassen sich mit Ideen, Wissen und Technologien von heute verwirklichen. Ein Gespräch mit dem Wissenschaftler und Unternehmer über Risikobereitschaft, Pragmatismus und die Tugend, mit gutem Beispiel voranzugehen.

Prof. Dr. Achim Kampker hat Maschinenbau studiert und war Mitgründer und Geschäftsführer der StreetScooter GmbH, die Elektrofahrzeuge für den Kurzstreckenverkehr entwickelt und produziert und mittlerweile der Deutsche Post DHL gehört. Der Ingenieur und Unternehmer ist seit 2009 Professor und Lehrstuhlinhaber an der RWTH Aachen, seit 2014 für den Bereich Production Engineering of E-Mobility Components (PEM). 2019 ergriff er zudem die Initiative zur Gründung des Vereins „Ingenieure retten die Erde“. Sein Buch „Zukunftslust“ ist im September 2024 im bene! Verlag erschienen. Bild: © PEM RWTH Aachen | projektelf

Herr Professor Kampker, Sie stimmen nicht in den Abgesang der deutschen Wirtschaft ein, sondern sehen die Zukunft positiv. Warum?

Achim Kampker: Es gibt immer Grund zu Hoffnung. Wir stehen zwar vor enormen Herausforderungen, die Frage ist aber, mit welcher Einstellung wir sie lösen. Erstarren wir vor Angst oder suchen wir eine Strategie nach vorne, um die Zukunft selbst in die Hand zu nehmen und positiv zu gestalten. Zudem gilt gerade in scheinbar aussichtslosen Situationen, wenn Menschen wirklich etwas bewegen wollen, können sie viel erreichen. Wir können also weiter rumjammern oder etwas tun. Und obwohl es da Bedarf gibt, nur auf die Politik zu schauen, reicht nicht. Alle müssen ihren Beitrag leisten, damit wir in Deutschland wettbewerbsfähig und in der Welt vorne mit dabei sind.

Wen meinen Sie mit alle?

Das ist die Gesellschaft und damit der Staat, das sind die Unternehmen und schließlich die Einzelnen, mit ihrer persönlichen Entscheidung, ob sie Leistung bringen wollen oder nicht. Der Dreiklang entscheidet. Bringt einer der Akteure Null, ergibt sich nach den Regeln der Multiplikation auch aus dem Bestreben der anderen Null. Alles über Null hilft.

Ein zukunftsfähiges Wirtschaftssystem baut aus Ihrer Sicht auf Wettbewerb, Leistungsbereitschaft, Effizienzsteigerung, Kreislaufwirtschaft und sozialer Gerechtigkeit auf. Wieso diese fünf Faktoren?

Ich habe mir angeschaut, wie Wirtschaft und das Wesen des Menschen funktionieren. Mein Schluss: Marktwirtschaft, also Wettbewerb und Leistungsbereitschaft verbunden mit Effizienzsteigerung passen am besten zu uns. Aber es braucht Leitplanken. Hier kommt die Gerechtigkeit ins Spiel. Die Gesellschaft muss dafür sorgen, dass nicht nur einige profitieren, sondern dass es uns in Summe besser geht. Ein breiter Mittelstand ist ein guter Indikator dafür. Die Ressourcenendlichkeit erfordert zudem Kreislaufwirtschaft, die – wenn wir gelernt haben, es richtig zu machen – auch effizienter als lineares Wirtschaften sein wird.

Zukunft braucht Ideen. In Deutschland gibt es laut Ihnen genug davon, doch oft scheitert ihre Umsetzung. Woran liegt das?

Erstens an unserer Einstellung: Wenn man in Deutschland eine Idee hat, finden die meisten gleich 100 Gründe, warum es nicht funktioniert. Zweitens am Kapital, obwohl genügend vorhanden ist: Da wir kein Risiko tragen und das Scheitern einer Idee von vornherein ausschließen wollen, übersehen wir die Chancen, die in ihr liegen, und investieren nicht. Drittens an der Bürokratie: Wir versuchen alles, was passieren könnte, zu regeln, bevor es überhaupt passiert. Das gilt für den Staat ebenso wie für Unternehmen. Wollen wir eine gute Zukunft, müssen wir anfangen, uns zu ändern. Beispiel Kapital: Es gibt rund 4000 Milliarden Euro Privatvermögen in Deutschland. Wenn wir Menschen überzeugen, einen Teil davon über Investmentfonds in lokale Zukunftsprojekte zu investieren, kommt etwas in Gang.

Sollten wir also kleiner und dezentraler denken. Müssen wir radikaler denken?

Deutschland hat enorm von der Globalisierung profitiert. Wir sollten nicht von ihr abkehren, aber überlegen, welche Dinge wir sinnvoll in hohen Skalen global bzw. zentral und welche Dinge wir dauerhaft besser wieder lokal bzw. dezentral machen. Damit das Umdenken nicht erst an der Katastrophe anfängt, finde ich radikaleres Denken an bestimmen Punkten richtig, beispielsweise beim Bürokratieabbau. Aber Radikalität im Sinne, den Menschen etwas vorzuschreiben, sie zu etwas zu zwingen, widerspricht unserer freiheitlichen Grundordnung. Da bin ich strikt dagegen.

Ideen, Neugründungen, Start-Ups sind das eine. Wie überführen wir Bestehendes in die Zukunft?

Jetzt machen wir alles auf der grünen Wiese neu, funktioniert nicht. Mit der PEM Motion GmbH, ein Spin-Off der RWTH Aachen, migrieren wir gerade eine Bestandsimmobilie und das Drumherum unter marktwirtschaftlichen Aspekten – was kann man sich leisten – in die Zukunft. Für die Energie planen wir ein Solarfeld. Bei der Ladeinfrastruktur setzen wir auf stationäre Speicher. Für unsere Kantine erzeugen wir Lebensmittel über eine eigene Fischzucht und produzieren auch das Fischfutter dafür über Soldatenfliegenlarven selbst. Wir sind nicht mit einem exakten Zielbild im Kopf gestartet, sondern machen ganz pragmatisch Schritt für Schritt das, was machbar ist. Zukunft ist kein Sprint, sondern ein Marathon.

Sie sagen Zukunft gelingt nur im Kollektiv.

Ja, das müssen wir klar benennen. In unserer Gesellschaft ist es zur Gewohnheit geworden, immer auf die anderen zu zeigen, anstatt selbst mit gutem Beispiel voranzugehen. Es sind immer die anderen, die mal was machen sollten. Das ärgert mich. Niemand hat den schwarzen Peter. Jede und jeder trägt mit dem persönlichen Tun oder Nichttun Verantwortung für die gemeinsame Sache.

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