Experten Interview · 31. Oktober 2024

Deutsch-französische Zusammenschlüsse: Implizites und explizites Kommunikationsverhalten und noch mehr spannende Unterschiede

Foto: Transversale Conseil

Lorraine Marchand ist Unternehmensberaterin für deutsch-französische bzw. französisch-deutsche Mergers und Akquisitions-Projekte (kurz: M&A) mit Schwerpunkt Mittelstand. Die Französin verantwortet in ihren Projekten vorwiegend die deutsche Unternehmensseite. Spannende Unterschiede, die den erfolgreichen Abschluss für alle Seiten beeinflussen, lesen Sie von der Expertin Lorraine Marchand im Interview.

Lohnt es sich für deutsche Unternehmen auf Akquisitionskurs gerade in den heutigen Krisenzeiten einen Blick über die Grenze nach Frankreich zu werfen?

Marchand: Auf jeden Fall. Der französische Markt verhält sich oft antizyklisch zum deutschen Markt. Er ergänzt ihn daher gut und kann Unternehmen helfen, die Schwächen des deutschen Marktes auszubalancieren und sich zusätzlich stabilisieren.

Zudem ist er aktuell insbesondere für mittelständische Unternehmen attraktiv. Ein brennendes Thema in Frankreich ist die Nachfolge. Viele Geschäftsführer sind über 60 Jahre. Sie haben ein Familienunternehmen entwickelt und sind nun auf der Suche nach einem Käufer bzw. möchten ihre Anteile an dem Unternehmen verkaufen.

Transversale Conseil
Die Französin Lorraine Marchand verantwortet deutsch-französische Zusammenschlüsse im Mittelstand.

Welche sind die häufigsten Gründe, warum sich Unternehmen außerhalb Deutschlands umschauen?

Marchand: Wir begleiten deutsche Unternehmen rund um M&A in Frankreich seit vielen Jahren. Die Gründe dafür sind vielfältig. Viele Unternehmen sehen sich international um, wenn die Kundennachfrage steigt und neue Produktionskapazitäten in Europa gewonnen werden sollen. Für einen Kaufprozess muss man circa ein Jahr bis zum Closing einrechnen. Im Vergleich zu einem Neuaufbau dieser Kapazitäten lassen sich durch einen Erwerb oftmals bis zu drei Jahre Zeit sparen.

Ein weiteres klassisches Beispiel ist, dass es auf Dauer schwierig ist, einen Vertrieb in Frankreich über Distanz aus Deutschland zu lenken. Man will daher in Frankreich vor Ort seinen eigenen Vertrieb aufbauen. Das lässt sich schneller realisieren, wenn durch den Erwerb eines französischen Unternehmens auf ein bereits bestehendes Vertriebsnetz zurückgegriffen werden kann.

Und dann gibt es natürlich auch die Fälle, in denen ein besonderes Know-how integriert werden soll, bevor dies der Wettbewerber übernimmt. Oder in denen eine französische Firma mit Potential von einem deutschen Unternehmen übernommen und ausgebaut wird, um das eigene Wachstum zu unterstützen.

Was ist Ihrer Einschätzung nach ausschlaggebend für eine erfolgreiche Akquisition?

Marchand: Im internationalen Kontext ist es entscheidend, eine Kaufstrategie zu haben und diese klar zu definieren. Das bedeutet sich Fragen zu stellen wie: Welches Ziel wird mit dem Zukauf verfolgt? In welcher Branche soll das Unternehmen tätig sein? Was will man in naher Zukunft damit erreichen? Wird auf eine geographische Nähe Wert gelegt? Ist man mit dem französischen Markt bereits vertraut? Kennt man dort die Hauptakteure, die Vertriebskanäle, die Geschäftsmodelle? Und wenn man sich für externes Wachstum entschieden hat: Was sind die Suchkriterien für Zielunternehmen, also Umsatz, Mitarbeiteranzahl…

Genauso wichtig ist der persönliche Kontakt mit dem Verkäufer. Er hilft, um eine gute Geschäftsbeziehung aufzubauen. Ideal ist es natürlich, wenn es bereits in der Vergangenheit Geschäftskontakte und -beziehungen gab wie beispielsweisen einen Vertrieb in Frankreich. Ist dies nicht der Fall, sind die ersten Management-Treffen umso wichtiger. Und da wir in Frankreich sind, sollte man mittags ein bis zwei Stunden für den Restaurantbesuch einplanen. Dort finden in lockerer Atmosphäre die Smalltalks mit den Geschäftsführern bzw. Gesellschaftern statt, die wesentlich für den späteren Prozess sein können.

Wie sollte der Akquisitionsprozess gestaltet sein?

Marchand: In jedem M&A-Projekt ist es essentiell, mit einem strukturierten Prozess durch die gesamte Akquisitionsphase zu führen. Er ermöglicht, dass zeitnah geprüft werden kann, ob ein potentielles Zielunternehmen überhaupt den Kriterien des deutschen Unternehmens entspricht. Ist dies der Fall, sollte in angemessener Zeit ein Kaufangebot abgegeben werden, damit potenzielle Mitbewerber nicht zum Zuge kommen können. Hier gilt es schnell reaktionsfähig zu sein, um die Chancen auf Erfolg zu erhöhen.

Welche Stolpersteine sind in einem grenzüberschreienden Prozess typisch?

Marchand: Gleich am Anfang ist es wichtig, die Verhandlungssprache festzulegen: In welcher Sprache sollen die Management Meetings geführt werden? Häufig wird in französischen mittelständischen Unternehmen nicht englisch gesprochen. Selten ist es, dass mindestens ein Beteiligter die Sprache des Anderen spricht. Von daher ist es ratsam, dass die Berater zweisprachig sind oder dass man einen Dolmetscher mit an Bord nimmt. Aber es geht hier nicht nur um die Sprache, sondern vor allem um die interkulturellen Unterschiede.

Was gibt es auf interkultureller Seite zu berücksichtigen?

Wichtig ist es, flexibel und offen zu bleiben. Deutsche und Franzosen unterscheiden sich darin, wie sie den Prozess gestalten. Während Deutsche zuerst einen durchdachten Plan aufstellen, bevor darüber gesprochen wird, gehen Franzosen anders ran. In Frankreich werden Ideen gern zusammen entwickelt, und erst danach werden diese Ideen mit Daten und Fakten belegt. Das kann in einem M&A-Prozess eine Hürde darstellen, da von dem Anderen etwas erwartet wird, worüber dieser sich nicht im Klaren ist.

Lorraine Marchand
Mission Manger, German Desk
Transversale Conseil

Marchand: Dazu kommt noch, dass der französische Sprachstil auf einer impliziten Kommunikation beruht. Das heißt, dass man viel vom Kontext und von der Körpersprache des Gegenübers ableitet. Der explizite deutsche Sprachstil ist das Gegenteil: Alle Informationen werden mitgeteilt und theoretisch gibt es keinen Freiraum. Es ist daher sinnvoll, nach einem Gespräch mit Franzosen die Informationen noch einmal zusammenzufassen, um sich zu versichern, dass alles richtig verstanden wurde.

Haben deutsche Mittelständler Nachteile gegenüber französischen Kaufinteressenten?

Marchand: Was ich auf Verkäuferseite in Frankreich oft erlebt habe, ist die Unsicherheit, oftmals Angst vor dem Fremden. Liegen mehrere Kaufangbote vor, von Ausländern und von Franzosen, gehen französische Verkäufer oft davon aus, dass ein Verkaufsprozess mit einem französischen Interessenten viel schneller, einfacher und risikofreier über die Bühne gehen wird. Das kann natürlich auch stimmen, falls der Deutsche noch keine Erfahrung mit Auslandsakquisitionen besitzt, und wenn sich der Käufer und der Verkäufer nicht persönlich aus vorherigen Geschäftsbeziehungen kennen. Daher ist es sinnvoll, wenn der gesamte Verkaufsprozess von Beratern begleitet wird, die die Unterschiede der beiden Länder gut kennen und die Vorteile einer länderübergreifenden Transaktion aufzeigen können.

Was raten Sie deutschen Unternehmen, die interessiert daran sind, ein französisches Unternehmen zu kaufen?

Marchand: Nehmen Sie sich die Zeit, das französische Management wirklich zu überzeugen, bevor Sie einen Kaufpreis nennen. Zeigen Sie, dass Sie sich über die Zusammenarbeit ehrlich Gedanken gemacht haben, darüber was das deutsche Unternehmen dem französischen Unternehmen bringen kann und vice versa. Und auch wie Sie die Zukunft des Unternehmens gestalten werden.

Um die eigene Motivation, die Transaktion bis zum Ende durchzuführen, zu verdeutlichen, hilft es, einen strukturierten Zeitplan vorzuschlagen. Selbstverständlich sollte ein angemessener und transparenter Preis für das französische Unternehmen angeboten werden. Hier ist umfassende Erfahrung gefragt. Ist der Preis zu niedrig, wertet er das Unternehmen ab. Ist er aber zu hoch, kann das verdächtig wirken. Der französische Geschäftspartner könnte dann vermuten, dass es nach den Due-Diligence-Verfahren zu harten Verhandlungen kommt. Spezialisierte Berater können hier unterstützen, eine realistische Unternehmensbewertung zu ermitteln und durch den gesamten Prozess führen.

Vielen Dank für das Interview!

Verfasst von:

Nina Meyer
Vorstand, Partnerin, Personalberaterin
Liebich & Partner

Mit mehr als zehn Jahren Erfahrung in aktiver Personalberatung und langjähriger internationaler Führungstätigkeit führt Nina Meyer ihre Mandate zielsicher zum Erfolg. Sie gewinnt professionell, mit …

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