Experten Interview · 14. Juni 2022

Bankensektor: Eine agile Transformation darf kein Selbstzweck sein

Erschienen im Fachmedium Bankmagazin, Online-Ausgabe.

Die schnelle Umsetzung digitaler Neuerungen oder ein organisationeller Umbau verlangt von Banken Agilität und ein entsprechendes Mindset in den Teams. Wie sich das erreichen lässt, erläutert Managementberater und Coach Norbert Albert im Interview.

Springer Professional: Der Bankensektor gilt gemeinhin als eher behäbig, wenn es um große personalstrategische Projekte geht. Die oft über Jahrzehnte gewachsenen Hierarchien werden häufig dafür verantwortlich gemacht. Wie sehen Ihre Erfahrungen aus der Praxis aus?

Norbert Albert: Spätestens seit der sogenannten Bankenkrise 2008 ist die Welt der Kreditinstitute nicht mehr wie sie über Jahrzehnte hinweg war. Dennoch sind die gesellschaftlichen Megatrends wie der demographische Wandel, die Demokratisierung breiter Gesellschaftsschichten und die Konnektivität, also das Prinzip der Vernetzung auf der Basis einer digitalen Infrastruktur, sowie die starke Individualisierung in der Gesellschaft in den Vorstandsetagen der großen Banken erst spät angekommen. Erst in Verbindung mit dem Wegfall vieler beständiger Geschäftsmodelle ist die Erkenntnis gereift, sich auch kulturell und organisatorisch neu ausrichten zu müssen. Im Wettbewerb um die besten Köpfe wäre man, trotz der Zahlung von Spitzengehältern, sonst zunehmend leer ausgegangen. Wer seine Zukunftsfähigkeit erhalten möchte muss sich bewegen!

Veränderung erfordert viel Kommunikation

Von traditionellen Bereichsstrukturen hin zur agilen Organisation führte der Transformationsprozess einer Bank in Baden-Württemberg. Dabei mussten sich nicht nur die konträren Einstellungen der Mitarbeitenden annähern, sondern auch die internen Neuerungen nach außen sichtbar gemacht werden. Nun ist die Herangehensweise in den Instituten sehr unterschiedlich. Die ING Deutschland hat in den vergangenen Jahren eine umfassende agile Transformation durchlebt, um näher am Kunden zu bleiben und sich schneller an veränderte Bedingungen anzupassen, wie die Bank selbst sagt.

Springer Professional: Warum gelingt so ein Vorhaben aus Personalsicht manchen Instituten offenbar besser als anderen? 

Norbert Albert: Die ING gehört zu einer niederländischen Bankengruppe. Dort ist man, traditionell und historisch bedingt, offener für Anpassungen und Veränderungen. Zumal das Geschäftsmodell einer Direktbank per se den oben aufgeführten Megatrends, vor allem in den Bereichen Individualisierung, Digitalisierung und Demokratisierung Rechnung trägt. Das sind also hervorragende Grundbedingungen, sowohl kultureller Art wie auch vom Geschäftsmodell her, um sich auch in organisatorischer Hinsicht agiler aufzustellen.

Springer Professional: Wie sieht diese Agilität in der Praxis aus?

Norbert Albert: Bei dem Begriff ‚agile Transformation‚ muss immer auch bedacht werden, dass am Ende des Prozesses in der Regel nicht die Agilität in Reinform steht, sondern ein hybrides Modell aus alter und neuer Welt. Je mehr die Unternehmenskultur und die Geschäftsmodelle bereits Grundlage für eine höhere Agilität sind, desto leichter gelingt die Veränderung. Wichtig dabei: Eine agile Transformation darf kein Selbstzweck sein! Überall dort, wo man sich damit versucht, weil agil in den letzten Jahren angesagt war beziehungsweise als Managementmode angewandt wird, erlebt man das grandiose Scheitern solcher Versuche.

Springer Professional: Sie haben ein Projekt begleitet, in dem zwei unterschiedliche IT-Bereiche einer traditionellen Bank zusammengeführt wurden. Was waren die größten Herausforderungen - sowohl mit Blick auf die betroffenen Teams als auch auf die Schnittstellen?

Norbert Albert: Schnell wurde erkennbar, dass die Prägung und das Mindset der unterschiedlichen Teams in den Fachbereichen, aber auch in den beiden IT-Bereichen merklich unterschiedlich war, in Teilen noch ist und auch in der Zukunft bleiben wird. Viele dieser Divergenzen konnten in Form von Gesprächen und Workshops, in einer Mediation oder in persönlichen Coachings positiv bearbeitet werden. Allerdings muss auch erkannt werden, wenn jemand nicht mitgeführt werden kann beziehungsweise nicht mitmachen will.

Springer Professional: Was bedeutet das konkret?

Norbert Albert: Mit Blick auf die Schnittstellen im Veränderungsprojekt ist es essentiell, die Auswirkungen auf die anderen Fachbereiche früh zu beachten. Ihre Verantwortlichen müssen im Steuerungskreis eng mit eingebunden werden und über regelmäßige Roadshows des Change-Teams nachgeführt werden. Genauso wichtig übrigens ist es, den Betriebsrat von Anfang an aktiv einzubinden! Sollte ein Sprecherausschuß für die leitenden Angestellten vorhanden sein, dann gilt sinngemäß dasselbe.

Springer Professional: Der Schlüssel für das Gelingen personeller Umbauten liegt also auch in der Kommunikation und dem begleitenden Change Management. Warum tun sich dennoch Finanzdienstleister mit beiden Instrumenten häufig so schwer?

Norbert Albert: Da man sich nicht darauf verlassen kann, dass der einmal angestoßene Change ein Selbstläufer ist, muss immer wieder und über möglichst alle Kanäle neue Energie in den Prozess gegeben werden. Das Mittel dazu ist nun einmal Kommunikation. Erst nach etwa zwei Jahren lässt sich sagen, ob der eingeschlagene Weg zu den gewünschten Erfolgen führt. Für eine spürbare, nachhaltige kulturelle Veränderungin gewachsenen, tradierten Unternehmen wie bei den Finanzdienstleistern sind sogar zwischen fünf bis acht Jahre zu veranschlagen.

Der zu erreichende Kulturwandel hin zu mehr Agilität ist eine Transformation, die alle Bereiche einer Organisation erfasst. Gerade die Geldhäuser sind – angesichts der negativen Wirkung in der Öffentlichkeit, die die Skandale der letzten 20 Jahre hatten – darauf bedacht, auf Nummer sicher zu gehen. Dies steht im vermeintlichen Widerspruch zu der erforderlichen Vertrauenskultur in agilen Arbeitsumfeldern. Denn Risikoaversion ist ein zentraler Gegenwert zur Agilität.

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Veränderung erfordert viel Kommunikation

Transformationsprozess einer Bank: Von traditionellen Bereichsstrukturen hin zu einer agilen Organisation.

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Springer Professional: Haben aus Ihrer Sicht erfolgreich umgesetzte Projekte langfristig positive Auswirkungen auf die gesamte Bank?

Norbert Albert: Für die Zukunftsfähigkeit des Institutes sind durch die Change-Prozesse in den zurückliegenden Jahren ganz zentrale Weichenstellungen vorgenommen worden. In erster Linie haben zunächst die Fachbereiche der Bank positiv auf die Veränderungen durch eine engere Verzahnung zwischen ihnen und der IT reagiert. Hier war es vor allem die Just-in-time-Planung statt des gewohnten Feinkonzepts, die überzeugte. Sachbearbeiter und Fachbereichsverantwortliche konnten zum ersten Mal selbst und direkt Anforderungen stellen sowie priorisieren, ohne mit den Systemleuten in eine Abstimmung gehen zu müssen.

Ein weiterer großer Vorteil: Es fällt dem Unternehmen nun leichter IT-Spezialisten zu gewinnen und an sich zu binden. Die Ansprüche der Absolventen an das Arbeitsumfeld sind jetzt eher zu erfüllen als in den Jahren zuvor. Die räumlichen Veränderungen im Rahmen der neuen Zusammenarbeit der beiden IT-Bereiche hat die Transparenz deutlich verbessert und auch der bereichsübergreifenden Kommunikation gut getan.

Springer Professional: Könnten Sie das an einem konkreten Beispiel erläutern?

Norbert Albert: Am deutlichsten werden die Veränderungen in der Gesamtbank im derzeit noch laufenden Projekt zu ‚New Work‘. Hier werden sehr viele der Ansätze aus der Transition der IT-Bereiche erneut aufgegriffen und auf das gesamte Unternehmen angewandt. Immer wieder werden Mitglieder aus dem IT-Change-Projekt beratend und impulsgebend hinzugezogen.

Norbert Albert gehört zu den Pionieren der Changeberatung. Er ist Diplom-Sozialpädagoge, Managementberater, Trainer und Coach bei Liebich & Partner, Baden-Baden.

Verfasst von: Angelika Breinich-Schilly, Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, Online-Veröffentlichung vom 31.05.2022

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