Experten Interview · 22. Oktober 2024

Führen in der Krise ist keine Raketenwissenschaft und gut erlernbar!

Kostenbremsen, Entlassungswellen oder Gehalts- und Bonikürzungen — viele Unternehmen befinden sich aktuell in einer Krisensituation. Welche Rolle Führungskräfte einnehmen und was sie insbesondere in Ausnahmesituationen beachten sollten, erläutert Dr. Thomas Gawron, Managementberater, Leadership-Trainer & Coach.

Was bedeutet eine Krisensituation für Führungskräfte?

Gawron: Eine Krise ist eine Ausnahmesituation. Hier zeigt sich, was Führungskräfte wirklich taugen. Wenn alles gut läuft, schauen Mitarbeiter nicht genau hin und nehmen den ein oder anderen Fehler in der Führung erst gar nicht wahr. Befindet sich ein Unternehmen jedoch in der Krise, rückt die Führungskraft ganz automatisch ins Scheinwerferlicht. Sie muss sich bewusst sein, dass jetzt alle Augen auf sie gerichtet sind. Defizite fallen umso mehr auf und erscheinen vergrößert wie unter einem Brennglas. Vielfach zeigt sich erst in einer Krise, wie gut bzw. schlecht Führungskräfte sind.

Das setzt zunächst voraus, dass Führungskräfte die Krise auch als Krise wahrnehmen?

Gawron: Genau. Allerdings gibt es viele Fälle, in denen die Führungskraft die Krise negiert. Sie setzen sich mit den Anforderungen, die diese Situation stellt, sowohl inhaltlich wie auch menschlich nicht auseinander. Die unmittelbare Folge ist, dass die Belegschaft sich in ihren Ängsten und Belangen nicht wahrgenommen fühlt. Das Triebwerk des Unternehmens gerät dadurch ins Schlingern und es besteht die Gefahr, dass sich die Mitarbeiter anderweitig orientieren.

Was wird von Führungskräften konkret verlangt?

Gawron: Führungskräfte haben in Krisensituationen ganz klar definierte Aufgaben: Sie müssen Zuversicht und Sicherheit vermitteln und Lösungswege aus der Krise aufzeigen können. Dies gelingt, indem sie Mitarbeitern Perspektiven aufzeigen. Sie müssen vorweggehen, Orientierung und Halt den Mitarbeitern bieten. Unsicherheit zu zeigen, ist schlicht unzulässig.

Erwarten Mitarbeiter in dieser Situation eine komplette Lösungsstrategie?

Gawron: Nein. Wichtig ist es, dass sich die Leader über die Lage im Klaren sind und die Ist-Situation offen den Mitarbeitern gegenüber darlegen. Das bedeutet, sie müssen in der Lage sein, auf Basis ihres aktuellen Kenntnisstandes authentisch Lösungswege aufzeigen zu können. Diese Wege sollten im besten Fall attraktiv sein, müssen zwingend ihre Mitarbeiter überzeugen und realistisch gangbar sein.

Welche Eigenschaften sind von Führungskräften besonders gefragt?

Gawron: Wer in der Krise als Führungskraft keine Ruhe ausstrahlt, wenn der Eindruck entsteht, es gibt keinen Plan und keinen Kurs, sondern es wird nach Stimmungslage entschieden, dann ist dies fatal. Denn Mitarbeiter sind in Krisen zum Teil stark verunsichert und setzen sich mit existentiellen Fragen auseinander, beispielsweise, ob die Firma in ein paar Monaten noch existiert oder ob sie bei der nächsten Kündigungsrunde auch dabei sind. Demgegenüber halten Mitarbeiter Unsicherheiten bis zu einem gewissen Maß aus, wenn sie den Eindruck haben, dass sie mit ihrem Vorgesetzten aktiv und zielgerichtet die Krise managen können. Die Erfahrung zeigt, dass bei guter Führung Mitarbeiter fast alles „motiviert mitmachen“.

Gibt es Führungsfehler, die Ihrer Erfahrung nach häufig gemacht werden?

Gawron: Ja, häufig ist die Führungskraft nicht in der Lage, die Sinnhaftigkeit der Krisenmaßnahmen nachvollziehbar zu erläutern und ihren Mitarbeitern zu vermitteln. Verschärfend kommt hinzu, wenn Mitarbeiter Opfer wie Gehaltskürzungen oder Überstunden bringen sollen und diese Maßnahmen für sie nicht nachvollziehbar sind. Beispielsweise, weil in ihren Augen an anderer Unternehmensstelle das Geld nur so „rausgeworfen“ wird.

In einer Krise sitzen alle im selben Boot – sowohl Mitarbeiter wie auch Führungskräfte. In vielen Fällen ist sich die Führungsmannschaft jedoch nicht über die Wirkungen ihres Verhaltens bewusst. Werden beispielsweise Business-Class-Flüge und teure Hotels von oberen Führungskräften auch in Krisenzeiten weiterhin gebucht, obwohl doch „alle den Gürtel enger schnallen müssen“, so untergräbt dieses Verhalten die Glaubwürdigkeit der Führungskraft massiv. Führungskräfte sollten durch ihr Handeln und Tun insbesondere in Krisenzeiten genau das vorleben, was sie von ihren Mitarbeitern verlangen. Nach dem gleichen Wertekompass, den sie kommunizieren, müssen sie auch handeln. Und diesen roten Faden auch in den kommenden Monaten beibehalten.

In Krisensituationen erwarten Führungskräfte in der Regel von ihren Mitarbeitern ein hohes Maß an Flexibilität und Einsatz. Es kostet Führungskräfte nichts, das zusätzliche Engagement ihrer Mitarbeiter anzuerkennen und ihnen auch dafür ausdrücklich zu danken. Wohl dosiert und insbesondere authentisch. Denn Lob darf nicht als Marketinginstrument falsch verstanden werden, sondern sollte gezielt eingesetzt werden.

Welchen konkreten Tipp geben Sie Führungskräften?

Gawron: Es ist in einer Krise wichtig, dass sich die Leader optimale personelle Rahmenbedingungen für die Schlüsselpositionen des Krisenmanagements schaffen. Besonders in Ausnahmesituationen brauchen Führungskräfte die richtigen Mitarbeiter an ihrer Seite.

In der Krise schlägt vor allem die Stunde der Analytiker und Umsetzer. Das sind jene Mitarbeiter, die typischerweise mit Krisensituationen besser umgehen können als andere. Sie fühlen sich von Ausnahmesituation gefordert, behalten selbst in stressigen Situationen ihre Nerven und sehen die Chancen, die jede Krise mit sich bringt. Es macht daher Sinn, diese Mitarbeiter zu identifizieren und sie gezielt mit Aufgaben zu betrauen. Zudem blühen häufig in Krisenzeiten „Talente“ auf, weil sie in der Lage sind, mit den spezifischen Anforderungen an ihre Aufgaben persönlich zu wachsen und ihre besonderen Fähigkeiten zu zeigen. Krisen eröffnen daher Führungskräften die Chance, geeigneten Nachwuchskräften besonders spannende und herausfordernde Aufgaben zu bieten, die von dieser Gruppe oftmals im „Tagesgeschäft“ vermisst werden. So verrückt es zunächst klingen mag: Krisen können Mitarbeiter sogar motivieren!

Wichtig ist es außerdem sich darüber klar zu werden, wer die wichtigsten Mitarbeiter — unabhängig der Hierarchien — sind, um als Organisation wieder aus der Krisensituation heraus zu kommen. Diese können jenseits der Übertragung erfolgskritischer (Krisen-) Aufgaben über spezifische Anreize oder sonstige Vereinbarungen an das Unternehmen gebunden werden, um damit einer in Krisenzeiten eines Unternehmens vermehrt einhergehenden „Fluktuation der Besten“ entgegenzuwirken.

Ihr Fazit?

Gawron: Führen in der Krise ist keine Raketenwissenschaft. Sie orientiert sich an den grundsätzlichen Elementen einer guten Führung und ist vor allen Dingen auch gut erlernbar! Gute Führung macht sich nicht nur in Krisenzeiten „bezahlt“.

Verfasst von:

Dr. Thomas Gawron
Managementberater Digitale Unternehmenstransformation, Leadership-Trainer & Coach, Key-Note Speaker
Liebich & Partner

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