Fachbeitrag · 17. September 2024

Die originäre Führungsfunktion ist in Vergessenheit geraten

Wertebasierte Führung macht Menschen souveräner und Unternehmen erfolgreicher. In Deutschland sieht die Führungsrealität meist anders aus. Sven Korndörffer, Vorstandsvorsitzender der Wertekommission e.V., und Ines Habitzreuther, Beraterin bei Liebich & Partner, sprechen über die Gründe.

Viele Unternehmen schreiben sich Werte auf die Fahnen. Warum gelingt so wenigen, sie zu leben?

Sven Korndörffer: Weil sie Führungskräfte haben, die fachlich brillant sind, aber lieber Excel-Tabellen lesen als Menschen zu führen. Gutes Führen eröffnet Menschen einen Gestaltungsraum, der ihre Gestaltungskraft entfaltet. Es geht darum, die Fähigkeiten im Unternehmen zu orchestrieren, darum die Performance-Kultur mit der Kultur des Miteinanders zu vereinen.

Ines Habitzreuther: Stattdessen verfallen Führungskräfte immer mehr ins Micromanagement, regeln zahlen- und forcastgetrieben vieles bis ins Detail runter. Doch Zahlen messen nur. Die Menschen machen ein Unternehmen erfolgreich. Wertschätzendes Führen heißt, Mitarbeitenden in ihrer Tätigkeit Orientierung, Sicherheit und Unterstützung zu bieten. Es bedeutet mehr als das Verteilen von Feenstaub zum Wohlfühlen. Es verlangt von der Führungskraft klare Entscheidungen und verbindliche Kommunikation. Sie muss konkrete Aufgaben verteilen, ihre Erfüllung einfordern, die Leistung der Mitarbeitenden anerkennen oder ihnen ein Feedback geben, mit dem sie umgehen können.

Wie lange können sich Unternehmen noch leisten, nicht wertschätzend zu führen?

Sven Korndörffer: Wir sind an einem Wendepunkt. Aufgrund der Bevölkerungsentwicklung fehlt in Deutschland der Nachwuchs. Wir brauchen qualifizierte Zuwanderung. Aber auch das wird nicht reichen. Die Menschen wollen einen Sinn in ihrer Arbeit erkennen und gewertschätzt werden, sonst gehen sie. Wertschätzung ist ein echtes Differenzierungsmerkmal und bindet.

Zeit, etwas zu ändern?

Sven Korndörffer: Grundsätzlich ja. Aber der Fokus von Führung liegt bei uns zu 90 Prozent auf dem Verwalten. Die originäre Führungsfunktion, das Gestalten mit den Menschen, ist in Vergessenheit geraten.

Wir leben in Deutschland ein falsches Führungsmodell. Das kann der Einzelne nicht ändern. Erforderlich ist ein System, dass top down auf performante und werteorientierte Führungskräfte setzt und diese zugleich so entlastet, dass sie wieder Raum zum Führen von Menschen haben.

Ines Habitzreuther: Die oberste Führungskraft hat dabei Vorbildfunktion. Die Verantwortlichen müssen loslassen von ihrem Setup, als Fachkräfte zu führen, und lernen, auf die Expertise ihrer Mitarbeitenden zu vertrauen. Es ist wie im Sport: Nicht immer ist der beste Spieler auch der beste Coach.

Sven Korndörffer: Das Problem ist, solange Führungskräfte, die lieber alles selbst machen, sich bei Neueinstellungen klonen, ist das System selbstreferenziell. Gebraucht werden stattdessen Menschen mit anderen Kompetenzen, Sichtweisen, aus anderen Branchen. Heterogenität beflügelt und sichert die Kontinuität des Unternehmens.

Macht Werte zu leben souverän?

Sven Korndörffer: Ein inneres Wertegerüst macht Menschen souveräner, da sie unabhängiger denken und handeln. Ob eine Führungskraft souverän ist, zeigt sich an ihren Mitarbeitenden. Nicken die alles ab oder haben die die Chuzpe und das Vertrauen, zu opponieren. Letzteres ist für den Unternehmenserfolg wertvoller. Souveräne Führungskräfte sind weit davon entfernt, sich für unfehlbar zu halten. Sie sind eigenreflektiert und wertschätzen, wenn Mitarbeitende sie und das Unternehmen, bei aller Loyalität, hart reflektieren.

Ines Habitzreuther: In der Regel fehlt diese Wertschätzung jedoch. Mitarbeitende, auch Führungskräfte, werden von ihren Vorgesetzten dafür gedeckelt. Glücklich, wer dann das Unternehmen wechseln kann, die anderen erdulden und rutschen in die Mittelmäßigkeit ab. Da liegt noch viel Arbeit vor uns.

Die Wertekommission befragt jährlich die deutschen Führungskräfte. Hat sich ihr Wertepuls geändert? 

Sven Korndörffer: Bislang lag Vertrauen stets auf dem ersten, Mut auf dem letzten Platz. Ich bin jedoch überzeugt, dass die Menschen an der Spitze wieder Menschen sehen wollen, die Mut zur Veränderung haben, Offenheit leben, empathisch sind, ein fühlbares Wertegerüst und eine klare Meinung haben. Übrigens auch eine gesellschaftspolitische Meinung. Die deutschen Unternehmenslenker sehen sich laut einer Befragung des Trustbarometers nicht als Gesellschaftsführer, sondern nur als Businessführer. Das ist zu eindimensional. Sie sind Vorbilder. Sie tragen eine sozialpolitische Verantwortung. Sie haben eine Mitwirkungspflicht an dieser Gesellschaft.

Zu Kommission und Personen:

Die 2005 gegründete Wertekommission e.V. ist eine Initiative für Führungskräfte in Deutschland, die ins Bewusstsein bringen will, dass im Unternehmen (vor-)gelebte Werte Wert schaffen. Sie veranstaltet Foren, veröffentlicht Bücher, Podcasts und misst jährlich den Wertepuls deutscher Führungskräfte. wertekommission.de

Sven Korndörffer war nach seinem Studium der Volkswirtschaft fast drei Jahrzehnte in der Bankenbranche tätig, zuletzt als Bereichsvorstand für die Konzernkommunikation der Commerzbank. Heute ist er Berater für strategische Kommunikation. Seit 2005 ist er Vorsitzender des Vorstands der Wertekommission e.V. 2024 ist im Econ-Verlag sein Buch „Die Wertschätzungskette“ erschienen. korndoerffer-beratung.com

Ines Habitzreuther ist seit 2024 Beraterin bei Liebich & Partner und bereits seit über drei Jahrzehnten in der Management-, Personal- und Strategieberatung tätig. Aus Ihrer Erfahrung im Executive Search weiß sie um die Wichtigkeit einer gemeinsamen Wertebasis von Unternehmen und Mensch. liebich-partner.de/ines-habitzreuther.

Dank langjähriger Erfahrung im Executive Search weiß ich um die Wichtigkeit einer gemeinsamen Wertebasis von Unternehmen und Mensch.

Ines Habitzreuther
Personalberaterin, Executive Search
Liebich & Partner

Der Artikel ist Teil unseres Magazins LuPe, Ausgabe 37. Das Magazin steht zum kostenfreien Download für Sie bereit. Wir freuen uns über Ihr Interesse.

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Verfasst von:

Ines Habitzreuther
Personalberaterin, Executive Search
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