Experten Interview · 13. Juni 2022

Wirtschaftliche Transformation: Wie Unternehmen sich in unsicheren Zeiten neu aufstellen

Die erfolgreiche Leitung und Umsetzung von über 200 Change-Projekten machen Dr. Jan Burghardt zum Profi für agile Organisation und agiles Projektmanagement.

Unterbrochene Handelsketten, drohende Lieferengpässe und ein Höchststand an Kündigungswellen — die Zeiten von Pandemie und Weltkrise sind für Unternehmen turbulent. Viele haben inzwischen erkannt, dass ihre bestehenden Organisationsformen nicht schnell genug auf die sich wandelnden Rahmenbedingungen reagieren können. Sie müssen etwas verändern. Kann Agilität die Lösung in der wirtschaftlichen Transformation sein? Funktioniert das in jedem Unternehmen? Welche Vorteile in Change-Prozessen und in agilen Strukturen liegen und welche Punkte Unternehmen im stetigen Wandel beachten sollten, erklären die Experten für ganzheitliche Organisationsentwicklung Steffen Hilser, Vorstand und Partner und Dr. Jan Burghardt, Partner und Managementberater.

Wie reagieren Unternehmen und Führungskräfte auf die aktuelle Situation?

Hilser: Die Mehrzahl der Unternehmen hat bereits Veränderungen in Gang gesetzt, um auf das Marktgeschehen zu reagieren und die Märkte von Morgen proaktiv zu gestalten. Im Zentrum steht die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen. Sie wird bestimmt durch die Deckung des Kundenbedarfs, der ausschlaggebend für das Angebotsportfolio, die notwendigen Prozesse und Entscheidungswege ist. Change-Prozesse hin zu einer agilen und dynamischen Organisation weisen eine hohe Komplexität auf, die die wenigsten Unternehmen allein stemmen können. Leider ist es häufig zu beobachten, dass viele Entscheidungen im Unternehmen immer noch im aller engsten Kreis von Führungskräften getroffen werden, was bewiesenermaßen unter den aktuellen Rahmenbedingungen kritisch zu bewerten ist. Es wird erfolgsrelevant sein, kurzzyklischer zu entscheiden und diesen Entscheiderkreis deutlich zu öffnen. In der Entscheidungsvorbereitung sowie -findung sollten alle relevanten Kompetenzträger eingebunden werden, denn dies wird die Entscheidungsqualität sowie das Commitment deutlich steigern.

Burghardt: Bei den Führungskräften ist der Wandel längst angekommen. Zu Beginn der Pandemie, also vor zwei Jahren, standen sie bereits vor komplett neuen Herausforderungen. Sie arbeiten an Lösungen und das Umdenken ist in vollem Gange — übrigens über alle Unternehmensgrößen hinweg. Sie lösen sich von den statischen, klassischen Ansätzen und entwickeln sich hin zu einem New Leadership. Dieser neue Führungsstil erfordert andere Skills als zuvor. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Führungskräfte aber auch auf ihre Mitarbeiter. Daher gilt es für einen erfolgreichen Change-Prozess wirklich alle Mitarbeiter auf diesem Weg mitzunehmen, die passenden Stakeholder einzusetzen und viel Zeit für Information und Kommunikation einzuplanen. Der direkte und persönliche Dialog ist ein ganz wichtiger Change-Faktor. Wir machen die Erfahrung selbst in großen Unternehmen, dass Kommunikation ein Schlüsselfaktor darstellt. Hier sind mittelständische Unternehmen aufgrund ihrer Größe meist besser aufgestellt.

Es ist erfolgsrelevant, kurzzyklischer zu entscheiden als bislang und den Entscheiderkreis deutlich zu öffnen. Der Grad der agilen Organisationsform muss jedoch unbedingt zum Unternehmen und seiner Kultur passen. Nur so kann sie nachhaltig und erfolgreich im Unternehmen verankert und gelebt werden. Das spiegelt sich auch in der Führungsstruktur wider.

Steffen Hilser
Vorstand, Partner, Managementberater
Liebich & Partner

Moderne Organisationsformen bedingen also ein agiles Leadership. Welche Vorteile eröffnen sich Unternehmen damit?

Hilser: Für ein Unternehmen bedeutet Agilität die Fähigkeit, in einer Wettbewerbsumgebung, die charakterisiert ist durch ständige, aber unvorhersehbar sich verändernde Kundenwünsche und Rahmenbedingungen, gewinnbringend zu operieren. Die Organisation meistert damit nicht nur die aktuellen Anforderungen, sondern wappnet sich auch für zukünftige Herausforderungen.

Burghardt: Das agile Leadership kann schnell und flexibel die veränderten Bedingungen am Markt antizipieren und leitet proaktiv die notwendigen Schritte ein. Zentrale Merkmale sind ein hohes Maß an Eigenverantwortlichkeit und Selbstorganisation der Führungskräfte, eine große Wertschätzung der Mitarbeiter und eine bewusste Fokussierung auf die Kundenbedarfe. Wenn Führungskräfte die agilen Prinzipien verinnerlicht haben, macht Führen mit agilen Tools enorme Freude und bringt Erleichterung sowie Entlastung im Führungsalltag. Unserer Erfahrung nach gewinnt eine Führungskraft Zeit für visionäre und strategische Themen, wenn sie die Mitarbeiter über agile Mechanismen führt.

Eignen sich die agile Organisations- und Führungsform für jedes Unternehmen?

Hilser: Hier muss stark differenziert werden, um das für jeweilige Unternehmen das richtige Maß zwischen absoluter Entscheidungsfreiheit und klaren Strukturen zu finden. Der Grad der agilen Organisationsform muss zum Unternehmen und seiner Kultur passen. Nur so kann sie nachhaltig und erfolgreich im Unternehmen verankert und gelebt werden. Das spiegelt sich auch in der Führungsstruktur wider. Ein hoher Grad an Beteiligung, das Einholen von Commitments zum eingeschlagenen Kurs und Alignment der Kompetenzträger sind erfolgskritische Komponenten.

Burghardt: Grundsätzlich muss das Thema Agilität in jedem Unternehmen sowie jeder existierenden Organisationsform diskutiert werden. Wir haben eine Reifegradmodell für die Bewertung von Organisationen entwickelt, anhand dessen ermittelt werden kann, wie es um die Agilität steht und wo Potenziale bestehen, agiler zu werden. Dafür analysieren wir gemeinsam mit dem Unternehmen, Unternehmenskultur und -philosophie, die Führungsstruktur, bestehende Organisationform, vorhandene Tools und vieles mehr. Am Ende steht ein Vorschlag wie mehr Agilität erreicht und welcher Nutzen daraus gezogen werden kann. Ganz wichtig erscheint uns jedoch bei all den Diskussionen, dass agile Führung ein agiles Mindset bei den Führungskräften bedingt und dies glaubwürdig vorgelebt wird.

Welche Ergebnisse lassen sich mit den agilen Managementmethoden und dem neuen Führungsstil erzielen?

Hilser: Die Aspekte agiler Führungs- und Mitarbeiter-Skills wie Schnelligkeit in Entscheidungswegen, breitere Verantwortlichkeiten sowie Raum für Kreativität und innovatives Arbeiten fördern die fruchtbare Zusammenarbeit. Hier lassen sich zahlreiche Symbiosen über die unterschiedlichen Unternehmensbereiche hinweg umsetzen. Diese kommen in weiteren Unternehmensfeldern wie beispielsweise im New Work zum Tragen und führen zu einer nachhaltigen Steigerung des Unternehmenserfolg.

Burghardt: Der zukunftsorientierte und zielsichere Leadership-Ansatz steigert die Attraktivität des Unternehmens – sowohl den eigenen wie auch den potenziellen Mitarbeitern gegenüber. Unternehmen, die nicht offen sind für agiles Arbeiten, werden sich schwertun, junge Menschen für sich zu begeistern. Die Organisation selbst gewinnt an Wettbewerbsfähigkeit und Adaptionsfähigkeit. Nicht nur hinsichtlich der Geschwindigkeit, sondern auch hinsichtlich des Erfolgs. So adaptieren und vollziehen agile Unternehmen den digitalen und technologischen Wandel nachweislich schneller, erfolgreicher und nachhaltiger.

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